In einem von Libereco und Earthsight initiierten offenen Brief fordern EU-Abgeordnete und Umwelt- und Menschenrechts-NGOs eine Untersuchung der Zertifizierung von belarusischen Strafkolonien durch den Forest Stewardship Council (FSC). Die Gefängnislager erhielten Siegel für ethisches Holz, obwohl dort politische Gefangene gefoltert werden.
Ein offener Brief – unterzeichnet unter anderem von 14 Europaabgeordneten aus 9 EU-Mitgliedstaaten und 33 internationalen NGOs aus 14 Ländern – fordert eine unabhängige Untersuchung des Forest Stewardship Council (FSC) bezüglich seiner Zertifizierung von Wäldern und von Holzhandel, die mit Folter, Unterdrückung und Naturzerstörung in Belarus in Verbindung stehen. Initiiert wurde der offene Brief von der deutsch-schweizerischen Menschenrechtsorganisation Libereco – Partnership for Human Rights und der britischen NGO Earthsight.
Ende 2022 hatte Earthsight aufgedeckt, dass das bekannte grüne Holzsiegel der internationalen Non-Profit-Organisation FSC mit Sitz in Bonn auch an belarusische Strafkolonien und für Holzprodukte und Möbel vergeben wurde, die gefolterte politische Gefangene hergestellt hatten. Bis vor zwei Jahren wurden Möbel aus Belarus unter anderem auch von Ikea und XXXLutz verkauft, zu dem auch die Möbelkette Poco gehört. Andere westeuropäische Händler verkaufen weiterhin Möbel, die in belarusischen Gefängnissen hergestellt werden.
Die Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie Umwelt- und Menschenrechts-NGOs werfen nun dem FSC vor, bisher nicht aufgearbeitet zu haben, wie es überhaupt zur Zertifizierung von belarusischen Gefangenenlagern kommen konnte. Der FSC hatte sich zwar aus Belarus zurückgezogen, allerdings erst im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine.
Lesen Sie den offenen Brief:
FSC muss für Versäumnisse geradestehen
Der FSC hatte auf Nachfrage erklärt, auch mehrere Monate nach Enthüllung des Siegel-Skandals keine Untersuchung eingeleitet zu haben. Die Organisation behauptet, führend bei der Zertifizierung von Forstwirtschaft zu sein. Das FSC-Siegel, das von Toilettenpapier und Möbeln bis hin zu Büchern und Kleidung reicht, soll sicherstellen, dass die aus Holz hergestellten Produkte legal, ethisch einwandfrei und nachhaltig sind. Das Siegel bleibt jedoch weit hinter den von der EU-Gesetzgebung festgelegten Mindeststandards zurück.
Um glaubwürdig zu bleiben, muss der FSC auch für die Fehler der Vergangenheit geradestehen, fordern die Unterzeichner*innen des offenen Briefes. Sie verlangen vom FSC eine unabhängige Untersuchung darüber, wie es zur Zertifizierung des belarusischen Holz- und Möbelhandels kam, sowie generelle Prüfungen, ob in einem Land ein Mindestmaß an demokratischer Regierungsführung und politischer Freiheit vorhanden ist, bevor dort Zertifizierungsdienste angeboten werden.
Gefängnisse mit FSC-Zertifizierung – wenige Cent Monatslohn
Auch der ehemalige politische Gefangene Vital Zhuk prangert den Handel und die Rolle des FSC und dessen Siegelvergabe an. Zhuk war selbst in einer früher vom FSC zertifizierten Strafkolonie in Bobruisk inhaftiert gewesen und hatte dort Holzmöbel hergestellt. Er betont: „Mit dem Verkauf dieser Möbel wird das Regime von Alexander Lukaschenko unterstützt, das weiterhin politische und gewöhnliche Gefangene foltert.“ Bereits fünf politische Gefangene starben in belarusischen Gefängnissen, zuletzt der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Ihar Lednik, dessen Tod am Dienstag bekannt wurde.
„Diejenigen, die noch leben, leiden unter Vitaminmangel und Krankheiten wie Skorbut. Wir sollten weiterhin Fragen stellen, denn wir leben in einer Zeit, in der jeder von uns die Wahl treffen muss, ob er sich zum Komplizen des Bösen macht oder seine Würde und Seele bewahrt“, erklärt Zhuk. Er verbrachte 2021 und 2022 anderthalb Jahre in politischer Haft.
„Dieses System der Zwangsarbeit ähnelt dem stalinistischen Gulag-System“, sagt Pavel Latushko, Leiter des belarusischen Nationalen Anti-Krisenmanagements (NAU) und Vize-Leiter des Vereinigten Übergangskabinetts von Belarus. Er erklärt: „Politische Gefangene werden rechtswidrig in verschiedenen Einrichtungen der Abteilung für Strafvollzug des Innenministeriums der Republik Belarus festgehalten. In diesen Einrichtungen werden sie nicht nur gefoltert und verbringen endlose Tage in Einzelhaft, sondern werden auch zu Zwangsarbeit gezwungen. Politische Gefangene erhalten fast keinen Lohn für ihre harte Arbeit, lediglich 0,03 bis 1,38 US-Dollar pro Monat!“
Möbel aus Belarus werden weiterhin in Deutschland verkauft
Erst im März 2022 hatte sich der FSC aus Belarus zurückgezogen, bis dahin hatte er Holzprodukte aus belarusischen Gefängnissen als ethisch einwandfrei zertifiziert. Die Organisation begründete ihren Rückzug damit, dass sie wegen des russischen Einmarsches in der Ukraine die Sicherheit seiner Prüfer*innen nicht mehr gewährleisten konnte. Neben dem FSC hatten sich damals auch Ikea und das konkurrierende Zertifizierungssiegel PEFC (Programme for the Endorsement of Forest Certification) aus Belarus zurückgezogen.
Doch auch nach den Rückzügen der Branchenriesen und ohne Siegel geht der Möbelhandel aus Belarus unentwegt weiter. Dieser stellt den größten Bereich des belarusischen Exports dar, der nicht von EU-Sanktionen betroffen ist. Er ist damit eine lukrative Einnahmequelle des autoritären Lukaschenko-Regimes, das in den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verwickelt ist und in dem massive Repressionen gegen kritische Stimmen Alltag sind.
So wurden nach Angaben des europäischen Statistikdienstes Eurostat von Januar bis November 2023 Holzmöbel im Wert von mehr als 103 Millionen Euro aus Belarus in die EU exportiert. Polen, Deutschland und die Niederlande waren dabei die größten Abnehmer, gefolgt von Litauen, Rumänien, Estland, Lettland und Frankreich.
Holzmöbel aus Belarus sind Lukaschenkos letzte Goldmine
Der im November 2022 von Earthsight veröffentlichte Bericht hatte enthüllt, wie Europas größte Möbelhandelsketten, darunter Ikea und XXXLutz, jahrelang Gewinne auf Kosten politischer Gefangener in Belarus erzielten. Die Möbel waren nicht nur in belarusischen Gefängnissen hergestellt worden, sondern auch mit Holz aus einigen der letzten Urwälder Europas, einschließlich geschützter Gebiete, gefertigt.
Zugleich flossen Gelder aus dem Exportgeschäft in die Kassen des Regimes von Diktator Alexander Lukaschenko. Die holzverarbeitende Industrie von Belarus ist eng mit dem Machtapparat verflochten und gilt als „Lukaschenkos letzte Goldmine“. Teile der Wälder des Landes stehen sogar unter seiner direkten Kontrolle.
Der FSC hatte trotz schon seit Jahren bestehender EU-Sanktionen gegen zentrale Akteure der Gefängnisverwaltung und der holzverarbeitenden Industrie sowie anhaltender Repressionen gegen politische Opponenten seine Zertifizierungspraxis in Belarus nicht geändert. Zahlreiche politische Gefangene landeten in Gefängnissen mit FSC-Siegel, darunter auch Menschen, die 2020 an den friedlichen Protesten nach den Wahlfälschungen teilgenommen hatten.
Damit ermöglichte und duldete FSC den Handel mit Möbeln, die in Gefängnissen hergestellt wurden, in denen Insassen misshandelt und gefoltert werden. Laut des Berichts von Earthsight werden die Wälder, die unter direkter Kontrolle Lukaschenkos stehen und vom FSC zertifiziert wurden, von Viktor Sheiman verwaltet. Die EU hat den 65-jährigen Leiter der Präsidialverwaltung von Belarus bereits 2004 mit Sanktionen belegt, weil sie ihn persönlich verantwortlich macht für das gewaltsame Verschwindenlassen und die mutmaßliche Ermordung von vier belarusischen Oppositionellen.
„Hieb- und stichfestes Sanktionssystem“ für Holzprodukte aus Belarus nötig
Thomas Waitz, Mitglied des Europäischen Parlaments und Co-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei mahnt deshalb: „Wir als EU müssen ein starkes und hieb- und stichfestes Sanktionssystem für Holz und alle Holzprodukte aus Belarus einführen. Das ist unsere politische Verantwortung. Aber auch europäische Unternehmen müssen sich ihrer Verantwortung stellen und sich vollständig aus Belarus zurückziehen. Das Gleiche gilt für den FSC: Hören Sie auf, staatliche oder regierungseigene Wälder in Autokratien zu zertifizieren! Jede Aktivität im Holzsektor in diesen Ländern fördert die Unterdrückung und Gewalt gegen die demokratische Opposition, die Menschenrechte und die Demokratie.“
Christie Miedema, Vize-Vorsitzende von Libereco, erklärt: „Massiv unterbezahlte und Gefängnisarbeit unter Zwang als ’nachhaltig‘ auszuweisen, ist in jeder Situation unvorstellbar, besonders aber in einem Land wie Belarus, dessen Justizsystem und Haftbedingungen seit Jahrzehnten keinerlei rechtsstaatlichen Prinzipien folgen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum der FSC selbst nach Bekanntwerden von Massenverhaftungen, hunderten Folterfällen und Verurteilung tausender friedlicher Demonstrierender im Zuge der manipulierten Wahlen 2020 keine Lehren aus seiner früheren Fehleinschätzung gezogen hat. Der FSC muss für seine Zertifizierung von Straflagern Rechenschaft ablegen.“
Tara Ganesh, die bei Earthsight den Bereich „Timber. Sanctions and Northern Forests“ leitet, sagt: „Die Kontrollsysteme des FSC sind voller Interessenskonflikte, die der FSC nicht in den Griff bekommen hat. Dieser Skandal macht deutlich, dass Menschen und die Natur beim FSC längst dem Profit untergeordnet sind und dass er ein Gewissen entwickeln muss – und zwar schnell.“