Gemeinsam mit der Belarussischen Studentenvereinigung BSA und dem Belarussischen Menschenrechtszentrum Viasna dokumentiert Libereco 12 Fälle von politisch motivierten Exmatrikulationen von Studenten in Belarus aus den Jahren 2015-2017.
(1) Darja Jakuš, Belarussische Staatliche Pädagogische Universität, Physikalisch-Mathematische Fakultät
Die Universitätsverwaltung übte bereits seit Herbst 2015 Druck auf Darja Jakuš aus, als sie sich während der Präsidentschaftswahlen weigerte, vorzeitig ihre Stimme abzugeben (d.h. bereits in den Tagen vor dem Wahlsonntag). Trotz einer entsprechenden Bitte des Dekans, weigerte sie sich, eine Befreiung von Lehrveranstaltungen zu beantragen (die Studenten wurden gedrängt, Minsk zu verlassen, um zu verhindern, dass sie an Protesten gegen Wahlfälschung teilnehmen). Auch aufgrund ihrer Teilnahme am Studentenmarsch geriet sie ins Visier der Universitätsverwaltung (studentische Proteste an der Belarussischen Staatlichen Universität gegen die Einführung von Gebühren für die Wiederholung von Prüfungen und Klausuren). Im Jahr 2016 verhinderte die Universitätsverwaltung Darjas Teilnahme am Jugendaustauschprogramm „Jugend und Politik: Möglichkeiten. Probleme. Perspektiven“, was zu einem Konflikt mit der Universität und dem Bildungsministerium führte. Während der darauffolgenden Vorlesungszeit ließ Vize-Dekan Michalkovič sie durch eine Prüfung fallen. Dadurch wurde Darja nicht erlaubt, am nächsten Semester teilzunehmen, so dass man sie von der Universität exmatrikulierte.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Vasilec (Dekan), Ignatovič (Vize-Dekan), Michalkovič (Vize-Dekan)
(2) Hleb Vajkul, Belarussische Staatliche Universität, Philologische Fakultät
Hleb war einer der Organisatoren des Studentenmarsches (studentische Proteste an der Belarussischen Staatlichen Universität gegen die Einführung von Gebühren für die Wiederholung von Prüfungen und Klausuren), woraufhin er zu einem Gespräch ins Büros des Dekans vorgeladen wurde und eine mündliche Verwarnung erhielt, weil er angeblich während des Marsches Lehrveranstaltungen verpasst haben soll. Während der nächsten Vorlesungszeit bestand Hleb einen Test im Kurs „Psychologie des literarischen Schaffens“ nicht. Die Dozentin Šamjakina brachte öffentlich ihre negative Einstellung gegenüber pro-demokratischen Aktivisten zum Ausdruck. Der Kurs war von Šamjakina konzipiert worden, bei der Wiederholungsprüfung war ihre Meinung in der Prüfungskommission entscheidend. Im Ergebnis wurde Vajkul nicht zum nächsten Semester zugelassen und von der Universität exmatrikuliert.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Šamjakina (Dozentin) Kričko (Vize-Dekan) S.U. Ablomejko (Rektor)
(3) Jurij Lukaševič, Belarussische Staatliche Universität, Historische Fakultät
Jurij ist Vorsitzender der Jugendorganisation der Belarussischen Volksfront. Im Februar und März 2017 nahm er an einer Aktion zur Verteidigung des Gedenkwaldes von Kuropaty teil und wurde deshalb wegen der Teilnahme an einem nicht genehmigten Protest angeklagt. Obwohl Jurij vom Gericht nicht verurteilt wurde, erhielt er von der Universität wegen der Teilnahme an dieser Aktion eine Verwarnung. Angesichts der Gefahr einer Exmatrikulation versuchte Jurij, akademischen Urlaub zu nehmen, erhielt aber eine zweite Verwarnung wegen des Versäumens von Vorlesungen während der Zeit der Antragsstellung und wurde schließlich exmatrikuliert. Die Verwarnungen wurden von der Vize-Dekanin veranlasst.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Berejšik (Vize-Dekanin), Kochanovskij (Dekan), Ablomejko (Rektor)
(4) Piotr Markiełaŭ, Belarussische Staatliche Universität, Physikalische Fakultät
Piotr Markiełaŭ wurde am 28.12.2016 aus dem vierten Studienjahr der Physikalischen Fakultät der Belarussischen Staatlichen Universität exmatrikuliert – aufgrund seiner aktiven bürgerlichen Haltung und seiner öffentlichen Aktivitäten (Piotr ist Medien-Manager der Organisation „Dzeja“ und kandidierte für den Minsker Gemeinderat). Unmittelbar vor der Exmatrikulation gab es einen Konflikt mit dem Dekan Viktor Aniščik, nachdem Piotr die Verwendung sowjetischer Symbolik an der Fakultät kritisiert hatte. Im Jahr 2015 war Piotr Markiełaŭ aus dem dritten Studienjahr der Physikalischen Fakultät exmatrikuliert worden, nachdem er für den Minsker Gemeinderat kandidiert hatte. Während der Proteste im März 2017 wurde Piotr verhaftet und zu einer Administrativ-Haft verurteilt weil er die Festnahme von Aktivisten gefilmt hatte. Piotr erstellte eine interaktive Tabelle zur Sammlung von Informationen über die Verhaftungen, was den Menschenrechtlern half, Informationen über die Inhaftierten und die Aktivisten in Administrativ-Haft zusammenzutragen.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Aniščik (Dekan)
(5) Chryścijan Šynkievič, Belarussische Staatliche Pädagogische Universität, Naturwissenschaftliche Fakultät
Die Universitätsverwaltung begann nach dem 15. Dezember 2016 damit, Chryścijan zu schikanieren, nachdem er mehrere Beschwerden über den neuen Bildungsminister Karpenka (Vorsitzender der Kommunistischen Partei von Belarus) geschrieben hatte. Einen Tag später wurde er zu einem Gespräch in das Büro des Dekans vorgeladen, wo man ihn aufforderte, keine Beschwerden zu schreiben und außerdem auch keine Beiträge von „unerwünschten Gruppen“ in sozialen Netzwerken positiv zu bewerten, da man ihn ansonsten exmatrikulieren könnte. Chryścijan nahm an einer Studienreise in Polen teil, wodurch er einen Vorlesungstag verpasste. Obwohl Chryścijan vor der Reise eine schriftliche Zustimmung des Leiters der Gruppe erhalten hatte und zugestimmt hatte, die Vorlesungen später zu besuchen, wurde er wegen seiner Abwesenheit verwarnt Am 25. März 2017 wurde Chryścijan im Büro des Menschenrechtszentrums Viasna verhaftet. Am folgenden Tag, dem 26. März, wurde Chryścijan während einer Protestaktion auf dem Kastryčnickaja-Platz in Minsk festgenommen. Vor seiner Gerichtsverhandlung am 27. März befand er sich in Untersuchungshaft. Am 27. März wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 28. März wurde Chryścijan vom Büro des Dekans informiert, dass er am 24. März exmatrikuliert wurde, d.h. sogar noch vor seiner Verhaftung. Diese Praxis wird von Verwaltungen von Bildungseinrichtungen verwendet, um den Anschein zu erwecken, dass die Studenten nicht an Protesten teilnehmen (angeblich war er während der Verhaftungen schon kein Student mehr).
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Navumenka (Dekan), Lapatka (Vize-Dekan), Kazakevich (Dozent), Lazarchuk (Professor).
(6) Arciom Kavaloŭ, Staatliche Universität Brest, Psychologisch-Pädagogische Fakultät
Die Schikanierung von Arciom Kavaloŭ begann nachdem er Beobachter in einem Wahllokal gewesen war und mehrere Beschwerden über Verstöße bei den Parlamentswahlen 2016 an die Behörden geschrieben hatte. Am 24. März 2017, dem Tag vor den Protesten am Tag der Freiheit, informierte der Dekan Arciom, dass er exmatrikuliert werden würde, sollte er am Samstag die Vorlesungen versäumen. Der Dekan rief sogar seine Mutter an und sagte ihr, dass Arciom von der Uni verwiesen würde, sollte man ihn auf irgendeiner Demonstration irgendwo in Belarus sehen. Am Samstag war Arciom Kavaloŭ in seiner Vorlesung und nahm an einer obligatorischen Aufräumaktion teil. Im Anschluss daran fuhr er nach Minsk (in seiner Freizeit) um seinem inhaftierten Bruder ein Paket zu übergeben. Dennoch sandte der Dekan am Montag, den 27. März, einen Bericht an die Universitätsverwaltung, der Grund für seine Exmatrikulation war.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Sviatlana Katsevich (Dekanin)
(7) Alena Kisiel, Staatliche Universität Mahilioŭ, Pädagogisch-Kinderpsychologische Fakultät
Alena Kisiel wurde während einer Demonstration in Mahilioŭ am 15. März 2017 verhaftet und anschließend zu einer Geldstrafe verurteilt. Ein paar Tage später fand ein Treffen des sogenannten „Präventions-Rates“ statt, an dem der Vize-Rektor für Ideologie und Vertreter der Belarussischen Republikanischen Jugend-Union teilnahmen. Während des Treffens entschieden sich die Teilnehmer, sich mit einer Petition an den Rektor zu wenden und die Exmatrikulation von Alena Kisiel zu fordern. Sie äußerten während des Treffens wiederholt, dass Alena durch ihre Teilnahme an der Demonstration „die Universität in Misskredit gebracht habe“. Der Rektor unterschrieb den Verweis von der Universität am 23. März.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Kamarova (Dekan), Batura (Vize-Dekan), Bandarenka (Rektor)
(8) Nastaśsia Piluhina, Belarussische Staatliche Universität, Historische Fakultät
Nastaśsia Piluhina wurde wegen ihres gesellschaftlichen Engagements exmatrikuliert. Während ihres Studiums wurde Nastaśsia wiederholt vom Vize-Dekan über ihre Zusammenarbeit mit Radio Liberty und dem amerikanischem Start Up Anonygo sowie ihre ehrenamtliche Mitarbeit bei der Kulturorganisation ArtSiadziba befragt. Im Ergebnis verweigerte man Nastaśsia notwendige Credit Points im Fach Museologie, das von Biareishyk geprüft wird.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Biareishyk (Vize-Dekan)
(9) Alena Dzianiščyc, Belarussische Medizinische Universität
Alena Dzianiščyc wurde wegen ihrer vielfältigen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten exmatrikuliert. Sie hatte zahlreiche Kampagnen an ihrer Uni organisiert und an einer Demonstration anlässlich des Tags der Nationalen Flagge teilgenommen. Nachdem Fotos davon, auf denen Alena zu sehen ist, in den Massenmedien auftauchten, wurde sie von ihrer Universität verwiesen. Alena war eine der besten Studenten und hatte keinen akademischen Rückstand. Dennoch wurde als offizieller Grund der Exmatrikulation ein angeblicher „akademischer Rückstand“ angegeben.
(10) Viačasłaŭ Panasiuk, Belarussische Staatliche Universität, Chemische Fakultät
Die Universitätsverwaltung begann damit, Viačasłaŭ Panasiuk zu schikanieren, nachdem er aktiv an der Kampagne „Studentenwohnheim 24“ teilgenommen hatte (eine Kampagne für die Abschaffung von Ausgangssperren in den Wohnheimen der Universitäten), in deren Rahmen er vom stellvertretenden Bildungsminister Yakzhyk empfangen wurde, der Viačasłaŭ die Anwendung von Artikel 193.1 des Strafgesetzbuches androhte (Verbot von Aktivitäten im Rahmen einer nicht registrierten Organisation). Viačasłaŭ Panasiuk wurde außerdem vom Leiter der Disziplinarabteilung der Belarussischen Staatlichen Universität, Bahamazau, vorgeladen, gefolgt von einem Gespräch mit dem Vize-Dekan Yakimenka, der ihm Schwierigkeiten aufgrund seines Aktivismus androhte. Während eines Besuchs in Strasbourg kritisierte Viačasłaŭ energisch die Verletzungen der Rechte und Freiheiten der Studenten. Daraufhin wurde er am 19. November 2015 in das Büro des Dekans vorgeladen, wo der Dekan versuchte, ihn einzuschüchtern und eine mündliche Verwarnung aussprach. Am 24. November wurde Viačasłaŭ vom Rektor wegen des Versäumens von Vorlesungen verwarnt. Anfang November 2015 hatte Viačasłaŭ zusammen mit anderen Aktivisten die Initiative „#studentsareagainst“ lanciert (studentische Proteste an der Belarussischen Staatlichen Universität gegen die Einführung von Gebühren für die Wiederholung von Prüfungen und Klausuren). Im Anschluss daran bestand er einen Test nicht und wurde exmatrikuliert.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Bahamasau (Leiter der Disziplinarabteilung), Yakimenka (Dekan), Yakimtsova (Assistenz-Professor).
(11) Ihar Nelipovič, Staatliche Universität Brest, Historische Fakultät
Ihar Nelipovič, ein Mitglied einer anarchistischen Gruppe, wurde wegen seiner Teilnahme am Marsch der Nicht-Parasiten am 5. März 2017 in Brest festgenommen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Anschluss daran wurde er mehrmals in das Büro des Dekans vorgeladen. Außerdem kamen Vertreter der Verwaltung und des Innenministeriums mehrmals in sein Studentenwohnheim. Am 16. März wurde Ihar aufgrund zweier Verwarnungen exmatrikuliert: aufgrund eines administratives Vergehen und für das Versäumen von 30 Vorlesungsstunden – obwohl viele seiner Studienkollegen bis zu 300 Stunden versäumt haben, ohne dafür bestraft zu werden.
(12) Marya Rabkova, Belarussische Staatliche Pädagogische Universität, Naturwissenschaftliche Fakultät – und später Staatliche Universität Mahilioŭ, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Die Universitätsverwaltung begann damit, Marya Rabkova zu schikanieren nachdem sie während der Präsidentschaftswahlen im Oktober 2015 verhaftet worden war. Im November 2015 war Marya eine oder Organisatoren der Bewegung „#studentsareagainst“ an der Belarussischen Staatlichen Pädagogischen Universität (studentische Proteste an der Belarussischen Staatlichen Universität gegen die Einführung von Gebühren für die Wiederholung von Prüfungen und Klausuren). Deshalb wurde sie mehrmals in das Büro des Dekans vorgeladen und dazu gezwungen, ihren Rückzug aus der Gruppe öffentlich in Sozialen Netzwerken zu erklären. Während der Straßenproteste stand sie unter persönlicher Überwachung. Im Januar 2016 wurde Marya in Mahilioŭ für mehrere Stunden festgenommen und ohne Anklage wieder freigelassen. Nach dem Ende der Vorlesungszeit wurde Marya gezwungen, die Universität zu verlassen, indem der Dekan der Fakultät, Navumenka, sagte, er würde ihr nur dann eine befriedigende Note geben, wenn sie zustimme, die Universität anschließend zu verlassen. Im Jahr 2017 versuchte Marya, ihr Studium an der Staatlichen Universität Mahilioŭ wieder aufzunehmen, hatte damit jedoch keinen Erfolg, da die Universitätsverwaltung voreingenommen war.
Universitätsmitarbeiter, die in die Exmatrikulation involviert waren: Navumenka (Dekan)