Gemeinsame Presseerklärung von Libereco – Partnership for Human Rights und dem Plattenlabel Audiolith Records zu dem Musiker und politischen Gefangenen Igor Bancer (Ihar Bantsar). Update 19. März: Igor Bancer wurde aus dem Gefängnis entlassen. Ein Gericht verurteilte ihn zu 1,5 Jahren Strafarbeit („Chimija“). Bis zu seiner Berufungsverhandlung ist er frei, darf Belarus aber nicht verlassen.

Igor Bancer, Musiker und Kulturschaffender ist einer der aktuell 287 politischen Gefangenen in belarusischen Gefängnissen. Seit dem 3. März ist er im trockenen Hungerstreik. Damit besteht die Gefahr, dass eine ganz besondere Stimme der europäischen Kulturszene verstummt.

Anlass seiner Verhaftung war angeblich eine Tanzperformance vor einem Polizeiauto, bei der er seine Hose auszog. Bancer war allerdings seit der gefälschten Wahl im August bereits mehrmals verhaftet worden. Sein Prozess und seine Gefangenschaft sind deutlich politisch motiviert, wie das belarusische Menschenrechtszentrum Viasna bestätigte.

Frontmann der Street-Punk-Band „Mister X“

Bancer ist als Teil der polnischen Minderheit in Grodno, ganz im Westen von Belarus aufgewachsen. Er studierte an der Universität Warschau Internationale Beziehungen und setzte sich während dieser Zeit aktiv für die Demokratisierungsbewegung in Belarus ein. Nach seiner Rückkehr engagierte er sich bei der vom Regime kritisch beäugten polnischen Minderheit, betreute zwei polnische Exilzeitungen und übernahm 2005 den Vorsitz in der Vereinigung der Polen in Belarus.

Gleichzeitig machte er sich einen Namen als Musiker. Als Frontmann der legendären belarusischen Street-Punk-Band „Mister X“ knüpfte er ein Netz von Kontakten in verschiedenen Subkulturen und wurde zu einer zentralen Figur in einer Nische des europäischen Kulturaustauschs. Sein zentrales Anliegen ist es, Menschen und vor allem Musiker*innen aus verschiedenen Ecken Europas zusammen zu bringen. Er veranstaltete selber unzählige Konzerte in Grodno, vermittelte aber auch ganze Touren nach Minsk und andere Städte in Belarus, Polen und Russland.

Vielfache und enge Verbindungen nach Hamburg

„Viele deutsche und europäische Bands fanden über Bancer einen Zugang zu Belarus und der dortigen Kulturszene“, kommentiert  Lars Lewerenz, Geschäftsführer beim Hamburger Plattenlabel Audiolith, bei dem Bancers Band „Mister X“ mehrere Platten veröffentlichte. „Seine ausführlichen, historisch-kulturellen Stadtführungen in seiner Heimatstadt Grodno sind legendär. Er versteht es, sicher zu stellen, dass keine Band die Stadt verlässt, ohne in diesen Genuss gekommen zu ein.“

Eine besondere Beziehung hat Igor Bancer zu Hamburg, und nicht nur über seinem Plattenlabel. Er ist glühender St.-Pauli-Fan und besuchte viele Male das Millerntorstadion, spielte Konzerte in den Fanräumen und auf der alternativen Bühne des Hafengeburtstags. Kürzlich bat er darum, man möge ihm einen St.-Pauli-Pulli ins Gefängnis schicken. 

Bancer teilte seine Erfahrung und seine internationalen Kontakten innerhalb von Belarus. Er unterstützte Musikerinnen dabei, die erste weibliche Punkband „Messed Up“ in Belarus zu gründen, organisierte ihre ersten Konzerte und vermittelte der Band sogar einen Plattenvertrag beim Hamburger Plattenlabel Audiolith. 

Aktiv weit über die Grenzen von Belarus hinaus

Auch als die Räume für alternative Kultur in Belarus immer enger wurden, blieb Bancer aktiv. Er organisierte unter schwierigen Bedingungen Festivals mit mehreren Bands aus dem Ausland, wie zuletzt ein großes Konzert in Minsk am 6. März 2020 mit Bands aus drei verschiedenen Ländern und Gästen aus ganz Europa, welches am Ende von der Spezialeinheit OMON aufgelöst wurde. Erst Corona führte dazu, dass er seine öffentlichen Auftritte vorübergehend einstellte – auch wenn der Staat Konzerte nicht einschränkte. Stattdessen streamte und broadcastete er online. 

Mit seinem Band-Kollegen produzierte er den Video-Podcast „Neonunderground“, wo sie wortgewaltig die Homophobie in der russischen Skindhead-Szene kritisierten, und damit ein Thema ansprachen, was in den postsowjetischen Ländern immer noch eher schwierig ist. Noch kurz vor seiner Inhaftierung schickte er einen Song nach Hamburg, der im Februar auf einem Soli-Sampler für die Familien von politischen Gefangenen erschien.

Bancer hat klare, progressive Ansichten und vertritt diese sehr offen – selbst wenn er damit auch in der eigenen Subkultur immer wieder aneckt. Sein unermüdliches Engagement für Rede- und Kulturfreiheit, gegen Diskriminierung und Unterdrückung hat ihn ins Gefängnis gebracht. Am 3. März begann sein Prozess. Am gleichen Tag trat er in einen trockenen Hungerstreik. Der Fortschritt des Prozesses wurde immer wieder künstlich verzögert, während Bancers Leben auf dem Spiel steht.

Im Hungerstreik seit dem 3. März

Seine Kolleg*innen aus Hamburg sind sehr besorgt: „So wie wir Igor kennen, ist seine Drohung, bis zum Ende zu durchzuhalten, ernst zu nehmen. Deswegen fordern wir alle, denen der europäische Kulturaustausch am Herzen liegt, auf, ihre Stimme zu erheben und ihren Einfluss geltend zu machen, um Igors sofortige Freilassung durchzusetzen“, sagt Lewerenz.

„Bancers Brückenschläge über die Grenzen zwischen West und Ost sind ein unverzichtbarer Teil der alternativen Musikszene geworden. Seine Stimme darf in Belarus und Europa nicht verstummen – weder durch seine andauernde Inhaftierung, noch durch seinen Tod. Durch seine Aktion macht er auf die Situation vieler politischen Gefangener in Belarus aufmerksam, auf die Farce der Gerichtsprozesse, die absurden Anschuldigungen und die völlig unverhältnismäßigen Haftstrafen. Wie alle anderen politischen Gefangenen in Belarus muss Bancer sofort freigelassen werden“, fordert Imke Hansen, Stellvertretende Vorsitzende von Libereco .

Der Grünen-Europaparlamentarier Rasmus Andresen hat im Rahmen der Solidaritätskampagne #WestandBYyou von Libereco eine Patenschaft für Igor Bancer übernommen und fordert seine sofortige Freilassung.