Gefangen und krank – Meine Zeit in Haft
Die belarusische Journalistin Kseniya Lutskina wurde 2020 nach den Protesten gegen Wahlfälschung und Repression verhaftet und später zu acht Jahren Haft verurteilt – weil sie beim Aufbau unabhängiger Medien half. Im Blog berichtet sie über die schlechte medizinische Versorgung in Untersuchungshaft.

Kseniya Lutskina
Journalistin, ehemalige politische Gefangene

Festnahme
Ich wurde direkt von der Straße in Minsk verschleppt. Ich habe einen Gehirntumor und muss daher stets Medikamente bei mir haben. In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 2020 – an Heiligabend – wurde ich in die SISO Nr. 1, die „Wolodarka“, gebracht („Wolodarka“ ist der umgangssprachliche Name der SISO Nr. 1 in Minsk, benannt nach der Straße „Wolodarskogo“). Das ist eine „tote“ Zeit, das heißt während der langen Feiertage arbeitet fast niemand in der SISO. Man hatte mir gesagt: Wenn man festgenommen wird, muss man sofort den Sanitäter über die Krankheit informieren und auf einen Arzt bestehen. Der Arzt kam jedoch erst eine Woche später zu mir.
Medizinische Hilfe und Schwierigkeiten
Einen Arzt zu rufen, ist extrem schwierig: Man muss zahlreiche Anträge ausfüllen und die Krankheit detailliert beschreiben. Der Arzt kommt dann vielleicht nach einer Woche oder sogar noch später. Selbst bei ernsthaften Erkrankungen müssen Insassen ständig nachweisen, dass sie wirklich krank sind und nicht simulieren. Die Straftäter unter den Insassen simulieren oft Krankheiten, weshalb auch politische Gefangene diese Kontrollen immer wieder über sich ergehen lassen müssen.
Bei meiner Zellengenossin trat einmal ein starker Ausschlag auf – vermutlich Neurodermitis. Der Arzt kam erst eine Woche, nachdem wir in einem Antrag „Verdacht auf Ringelflechte“ geschrieben hatten. Die Untersuchung erfolgte durch ein kleines Fenster in der Tür.
Probleme bei der Behandlung chronischer und schwerer Krankheiten
Die Behandlung mit Hormonen oder anderen speziellen Medikamenten ist nahezu unmöglich ohne ein externes ärztliches Attest. Das ist extrem schwierig, da Polikliniken Epikrisen (medizinische Berichte) weder an Angehörige noch an Anwälte ausstellen, und selbst aus der SISO eine Kopie zu bekommen, ist praktisch unmöglich. Jede SISO hat ihre eigenen Regeln für medizinische Sendungen. So gibt es beispielsweise Einschränkungen für Medikamente: Wenn es ein Medikament oder dessen flüssiges Äquivalent in der SISO gibt, wird es nicht angenommen. Die Ausgabe von Medikamenten in derartigen Gefängnissen erfolgt an speziellen „Ausgabestellen“. Manchmal muss man ein oder zwei Stunden warten – zweimal täglich. Stellen Sie sich vor, bei −20 °C in Winterkleidung, die völlig ungeeignet ist, für Antibiotika draußen anzustehen – das verschlechtert den Zustand von Menschen mit Lungenentzündung, Bronchitis oder Fieber nur noch mehr.
Foto von der Konferenz #WithoutJustCause in Warschau


Krankenstation und Einschränkungen
Die stationäre Abteilung ist ein „Gefängnis im Gefängnis“. Insassen erhalten weder Briefe noch Ausgang und Telefonate hängen von der Laune des Abteilungsleiters ab. Um notwendige Untersuchungen wie etwa ein MRT (Kernspintomographie) zu bekommen, muss man dutzende Briefe schreiben – meist kommen jedoch nur Standardantworten wie „Sie ist gesund, alles ist in Ordnung“ zurück.
Persönliche Erfahrungen und Beobachtungen
Die Ärzte versuchten zwar zu helfen, ihre Möglichkeiten waren jedoch begrenzt. Ich habe gesehen, wie schwer kranke politische Gefangene unter Begleitung zu Gerichtsverhandlungen getragen wurden, weil sie aufgrund von Krebs und Herzproblemen ohnmächtig wurden.
Das Unangenehmste sind die „Simulationsprüfungen“. In unserer Zelle hatte eine Frau eine Vor-Schlaganfall-Situation: Die Gesichtsmuskeln auf einer Seite funktionierten nicht, sie konnte kaum sprechen. Wir schlugen 20 Minuten mit Töpfen und Bechern gegen die Tür, um die Wärter auf uns aufmerksam zu machen und einen Arzt zu rufen. Der Arzt kam zwar, doch wurde erst einmal geprüft, ob sie nicht doch nur simuliert.
Eine andere Insassin brach einmal ihren Zeh an einer der Türen. Wir waren alle erwachsene, gebildete Menschen und fühlten uns extrem unwohl, ständig beweisen zu müssen, dass wir wirklich krank sind.
Ich hatte Glück – ich wurde früher freigelassen, obwohl ich noch vier Jahre hätte absitzen müssen. Heute stehen etwa 170 Personen auf der humanitären Liste: Krebskranke, Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten, Menschen, die in die Reha gehören. Ich bitte inständig darum, dass andere schutzbedürftige politische Gefangene die gleiche Aufmerksamkeit und Hilfe erhalten wie ich. Leben und Gesundheit eines jeden Menschen müssen Priorität haben. Internationale Solidarität, Aufmerksamkeit und Unterstützung sind entscheidend.