Im Rahmen der Solidaritätskampagne #WeStandBYyou von Libereco – Partnership for Human Rights hat Cem Özdemir die Gefangenen-Patenschaft für die inhaftierte belarussische Journalistin Katsiaryna Barysevich übernommen. 

Cem Özdemir

Seit der gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus im August 2020 gehen landesweit hunderttausende Menschen auf die Strasse. Die Demonstrierenden fordern den Rücktritt von Machthaber Lukaschenko und demokratische Neuwahlen. Das herrschende Regime reagiert mit massiver Gewalt und mehr als 30.000 Verhaftungen auf die friedlichen Proteste. Über 150 politische Langzeitgefangene sitzen seit Monaten im Gefängnis. Hunderte Fälle von Folter und Misshandlung wurden inzwischen dokumentiert.

Aufgrund der massiven Welle staatlicher Repression startete Libereco Anfang Juli die Kampagne #WeStandBYyou, um sich solidarisch mit allen Menschen in Belarus zu erklären, die sich für freie und faire Wahlen, die Demokratisierung des Landes, Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte engagieren.

Die Freilassung der politischen Gefangenen fordern mit ihrer Patenschaft unter anderen die Vize-Präsidentinnen des Europäischen Parlaments, Katarina Barley und Nicola Beer, der frühere polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, die Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth sowie der frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

Neben 63 Bundestagsabgeordneten und 21 Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus Polen, Litauen, Tschechien, der Niederlande, Österreich und Deutschland haben auch 16 Abgeordnete der nationalen Parlamente Belgiens, der Niederlande, Österreichs und der Schweiz Gefangenen-Patenschaften übernommen.

Cem Özdemir, der Bundestagsabgeordnete und frühere langjährige Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen ist der 100. Abgeordnete, der eine Patenschaft für politische Gefangene in Belarus übernimmt und die Journalistin Katsiaryna Barysevich symbolisch adoptiert.

Katsiaryna Barysevich

Katsiaryna Barysevich ist eine Reporterin der unabhängigen Informationsplattform TUT.BY, die zu den 5 beliebtesten Webseiten in Belarus zählt. Ihre Inhaftierung erfolgte am 19. November gemäss Artikel 178 des Belarussischen Strafgesetzbuches wegen angeblicher Verletzung des Arztgeheimnisses. Hintergrund ist ein Bericht von ihr über die Ermordung von Raman Bandarenka, der am 11. November in Minsk zu Tode geprügelt wurde. Die belarussischen Behörden behaupten, dass Bandarenka unter Alkoholeinfluss stand. Der Arzt, der ihn untersuchte, konnte jedoch keinen Alkohol in seinem Blut feststellen und wurde mit dieser Aussage von Barysevich in ihrem Artikel zitiert. Die Journalistin ist seitdem im KGB-Untersuchungsgefängnis in Minsk inhaftiert.

Belarussische und internationale Menschenrechtsorganisationen verurteilen die andauernde Inhaftierung von Katsiaryna Barysevich und zahlreicher weiterer Journalisten, Blogger und Betreiber unabhängiger Social Media Infokanäle scharf. Seit der belarussischen Präsidentschaftswahl am 9. August wurden über 450 Fälle von Verletzungen der Pressefreiheit gezählt. Es kam zu über 370 Festnahmen von Medienvertretern, über 60 Fälle von Gewalt, Misshandlung oder Folter gegenüber Medienschaffenden sind dokumentiert.

Cem Özdemir erklärt zu seinem Engagement: 

„Seit Monaten betreibt das Lukaschenko-Regime Staatsterror. Zehntausende Menschen wurden bereits zu Unrecht verhaftet und mussten traumatisierende Erfahrungen machen, die sie ein Leben lang verfolgen werden. Meine Patenschaft für Katsiaryna Barysevich ist daher alles andere als ein Anlass zur Freude. Doch ich hoffe, dass ich mit der Patenschaft wieder mehr Aufmerksamkeit auf die dramatische Situation in Belarus lenken kann. Und ich hoffe, dass ich Katsiaryna Barysevich zeigen kann, dass wir in Deutschland weiterhin hinschauen und solidarisch sind.

Der Tod Raman Bandarenkas durch Staatsgewalt ist ein besonders erschreckendes Beispiel für die Brutalität und Menschenverachtung des Lukaschenko-Regimes. Es ist von unschätzbarem Wert, dass mutige Journalist*innen wie Katsiaryna Barysevich die Wahrheit ans Licht bringen. Dass sie dafür mit ihrer Freiheit bezahlen müssen, dürfen wir nicht hinnehmen – weder in einem europäischen Land wie Belarus noch in irgendeinem anderen Land der Welt. Die dramatischen Einschränkungen der Pressefreiheit in den letzten Monaten zeigen, wie sehr Lukaschenko den unabhängigen Journalismus fürchtet. Diktatoren sind nicht nur brutal und gefährlich, sondern immer auch erbärmlich. Und die Entwicklungen in Belarus zeigen, dass kein Diktator dieser Welt fest im Sattel sitzt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis demokratische Bewegungen sie von ihrem armseligen Thron verjagen.

Die Straflosigkeit für die Verbrechen des Regimes erschüttert mich besonders – auch wenn es nicht überrascht, dass Lukaschenko seine Hand über diejenigen hält, die das Regime am Leben halten. Die belarusische Zivilgesellschaft beeindruckt mich in dieser Notlage mit ihren friedlichen, kreativen und kraftvollen Methoden zutiefst. Sie sammelt systematisch Belege für Folter und andere Verbrechen, auf deren Basis im neuen Belarus und im Ausland gegen Lukaschenkos Schergen ermittelt werden kann. Litauen ermittelt bereits nach dem Weltrechtsprinzip gegen Folterer. Deutschland sollte hier ebenfalls vorangehen und sich auch international stärker dafür einsetzen, dass das Regime zur Rechenschaft gezogen wird.

Katsiaryna Barysevich ist eine von vielen beeindruckenden Frauen, die den Wandel in Belarus vorangetrieben haben. In Zeiten von Gewalt und Staatsterror hat das Trio um Kalesnikawa, Zichanouskaja und Zepkala Schwesterlichkeit und Empathie zur politischen Maxime gemacht. Lukaschenkos patriarchale Verblendung hat dazu geführt, dass er die Frauen in Belarus dermaßen unterschätzt hat. Auch wenn der Tyrann seinen Thron – noch – nicht geräumt hat, ist doch eindeutig, dass die Ära Lukaschenko über kurz oder lang Geschichte sein wird. Die belarusischen Frauen haben mit ihrem Engagement zum friedlichen und kreativen Wesen des Protests maßgeblich beigetragen. Ihnen und der gesamten Demokratiebewegung gilt meine größte Anerkennung. Den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments hat die belarusische demokratische Opposition mehr als verdient.

Nur die Freilassung der politischen Gefangenen und Neuwahlen unter OSZE-Beobachtung können Frieden und Sicherheit für Belarus bringen. Nur so werden die Menschen in Belarus endlich die demokratischen Rechte erfahren, für die sie so sehr kämpfen. Meine Bewunderung und meine Solidarität sind ihnen sicher. Daher fordere ich: Freiheit für Katsiaryna Barysevich und alle anderen politischen Gefangenen in Belarus!“